Quelle: jungefreiheit.de
von Karlheinz Weißmann
Es ist gekommen wie erwartet. Die Mehrheit des Bundestages hat für die Einführung der „Universalehe“ (Berthold Kohler) gestimmt. Es bleibt das folgenlose „Nein“ der Kanzlerin und der Union. Aber auch die hat sich bis zum Schluß hinter formalen Gründen verschanzt: Man hätte zuerst die Verfassung ändern müssen und deren Schutz von Ehe und Familie aushebeln, das ganze gehe zu schnell, es handele sich faktisch um einen Bruch des Koalitionsvertrags etc.
Inhaltlich haben CDU und CSU längst kapituliert. Schon vor dem Bundestagswahlkampf 2017 wurden die weltanschaulichen Bastionen geschleift, als Angela Merkel die Zauberformel sprach „Familie ist da, wo Kinder sind“. Nächstens dürfte man wohl die verbliebenen konservativen Positionen mit Regenbogenfarben anmalen, weil auch in der Schwulenehe „Werte gelebt werden“: „Zwei Menschen sagen vor dem Staat, wir stehen füreinander ein in guten wie in schlechten Zeiten“ (Jens Spahn).
Veränderungen im Unterbau der Gesellschaft
Nun ist die Berufung auf „Werte“ immer wohlfeil, und selbstverständlich genügt es als Grundlage einer vom Staat gewollten und geförderten Einrichtung nicht, daß zwei Individuen eine Art Haftungsgemeinschaft bilden. Denn das Interesse des Staates muß notwendigerweise über das der einzelnen hinausgehen. Ihm ist es darum zu tun, eine Rahmenordnung für das problematische Feld der Sexualität zu schaffen und den eigenen Fortbestand zu sichern.
Dieser Zusammenhang hat sich allerdings schon weitgehend aufgelöst. Dafür verantwortlich sind einmal Veränderungen im Unterbau der Gesellschaft. Vor allem das Ausgreifen des Wohlfahrtsstaates ist hier zu nennen (der die uneheliche Mutter und die Geschiedene samt Kindern vor dem Elend bewahrt), zu dessen Serviceleistungen auch die Abtreibung gehört und der problemlose Zugriff auf wirksame Kontrazeptiva.
Es gibt aber auch Gründe, letztlich ausschlaggebende Gründe, die nur aus Veränderungen im Überbau zu erklären sind. Denn die Abgeordneten, die der „Ehe für alle“ zugestimmt haben, stehen mit ihrer Meinung keineswegs allein. Vielmehr spiegelt sie nur die Auffassung der Bevölkerung, die nach einer aktuellen Umfrage mit Zweidrittelmehrheit die Gleichstellung von homosexuellen „Lebenspartnerschaften“ und regulärer Ehe akzeptiert.
Großer Kulturbruch
Daß sich an diesem Punkt ein dramatischer Einstellungswandel vollzogen hat, ist unbestreitbar. Aber die übliche Deutung, es habe auf die Dauer das Mehr an Aufklärung und Kampf gegen althergebrachte Vorurteile gesiegt, trifft die Sache nicht. Vielmehr hat man es mit der Aktivität von Einflußgruppen und einer gewollten Veränderung ethischer Schlüsselvorstellungen zu tun. Die darf nicht isoliert betrachtet werden, denn sie gehört in den Kontext des großen Kulturbruchs, der sich in den vergangenen fünfzig Jahren vollzog.
Kurz nach dem „roten Mai“ `68 veranstaltete der französische Regisseur Louis Malle, eine Ikone der Linken, ein Rundgespräch zum Thema Utopie. Die Teilnehmer waren sich überraschend einig in der Auffassung, daß es zukünftig keine Ehe im traditionellen Sinn und keine Bindung der Kinder an ihre biologischen Eltern geben solle, das eine wie das andere hindere an der Entfaltung der freien Persönlichkeit, Homosexualität und Heterosexualität müßten als gleichwertig betrachtet werden, Malle selbst vertrat diese Auffassung dann auch in bezug auf den Inzest. Ausschlaggebend, so sein Argument, müsse das Einverständnis der Partner sein, alles andere spiele keine Rolle.
Schleichender Prozeß
Selbstverständlich wirkten solche Anschauungen damals noch verstörend. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie in eine lange zurückreichende Denktradition gehören, die man bis auf den Marquis de Sade, vor allem aber auf den Frühsozialisten Charles Fourier zurückführen kann, dessen Auffassungen später nur noch aktualisiert werden mußten.
Das geschah bei den radikalen Sexualreformern vor dem Ersten Weltkrieg genauso wie bei den Kommunisten, die für die „Sexpol“ verantwortlich waren, das geschah in der Praxis eines Wilhelm Reich genauso wie in der Lehre eines Herbert Marcuse. Beide gehörten zu den wichtigsten Denkmeistern der Achtundsechziger.
Die haben mit ihrer „Revolution“ zwar niemals die politische Macht ergreifen können wie die Revolutionäre früherer Zeiten, aber sie haben einen schleichenden Prozeß in Gang gesetzt, der kaum jemals auf entschlossenen Widerstand traf und alle Vorstellungen unterhöhlte und weiter unterhöhlt, die für die abendländische Tradition unbestritten waren, vor allem wenn sie sich auf die „natura naturata“ bezog, also das, was eigentlich „natürlich“ ist.