Quelle: jungefreiheit.de
von Martin Voigt
Ein normaler Sonntagabend. Ihre Kinder wollen nach dem Essen noch ein bißchen Fernsehen gucken. Sie machen den Kinderkanal an, legen die Fernbedienung auf den Bücherschrank und gehen mit dem Hund raus. Als Sie wiederkommen, starren ihre Kinder mit hochroten Köpfen und großen Augen auf den Bildschirm.
„Wenn ich meine Finger an die Schamlippen lege und dann meine Finger im Kreis bewege, ist das dann auch Selbstbefriedigung?“ Die vorgelesene Frage eines zwölfjährigen Mädchens verhallt in Ihrem Wohnzimmer. Nochmal: KiKA, 20 Uhr, Sonntag abend. Die Antwort der jugendlichen Moderatorin Clarissa folgt prompt: „Joa, genau so kann man’s machen, auf jeden Fall!“ Und „das ist eine Möglichkeit, definitiv“, ergänzt die ältere Kummerkasten-Expertin Sabine.
Die am 19. Februar ausgestrahlte Folge 8 der Sendung „Kummerkasten“ trägt den Titel: „Ohne Dings kein Bums – Was möchtest du über das 1. Mal wissen?“ Clarissa und ihr männliches Pendant Simon lesen die Fragen der Teenager von einem Tablet ab, wie zu Dr. Sommer-Zeiten: „Hey KikA-Team, seit zwei Monaten bin ich mit meinem Freund zusammen. Er ist 16 und hat mir gestern gesagt, daß er mit mir Sex haben möchte. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das auch will.“
Petting für U14
Oder: „Mein Freund und ich wollen bald Sex haben. Soll ich mir die Haare an der Scheide abrasieren?“ Eine 13jährige beklagt, daß sie mit ihrem „boyfriend nicht ernsthaft über Sex reden“ könne, da er immer nur lachen müsse, und zwölfjährige Jungen wollen wissen, wie lang der Penis sein müsse, und ob es beim Sex Schmerzen im Glied gebe.
Freundlich und vertrauensvoll blicken Clarissa, Simon und Sabine in die Kamera und tun ihrem jungen Publikum ihre Meinung kund. Zu Beginn hakt man noch die gesetzlichen Hürden ab, denn Sex ist grob gesagt erst ab 14 Jahren erlaubt.
Clarissa ist pikiert, denn sie hätte ja nicht gedacht, daß das gesetzlich geregelt werde. „Also wenn ich als zwölfjähriges Mädchen mit meinem 14jährigen Freund schlafe, dann gilt das als sexueller Übergriff und ist tatsächlich verboten.“ Die genaue Gesetzeslage können die Kids aber auf der Online-Seite von Kika nochmal nachlesen, erwähnt Simon und deutet auf sein Tablet. Aber es gebe ja auch noch andere schöne Dinge, die man machen könne, meint Clarissa: „Petting zum Beispiel.“
„Probieren geht über Studieren“
Fachlich ans Eingemachte geht es mit dem Auftritt der Frauenärztin Patricia Klinzing. Nun antwortet eine echte Expertin zum Beispiel auf die Frage des zwölfjährigen Nick, wie lang der Penis sein müsse, um Sex zu haben. „Also, da geht Probieren über Studieren“, empfiehlt die Frauenärztin, aber „eine vorgegebene Größe gibt’s da nicht“. Clarissa lächelt in die Kamera: Also jeder kann Sex haben.
Kann es Schmerzen geben im Penis beim Sex? Das will Damian wissen, ebenfalls zwölf. Eher nicht, antwortet Klinzing, denn „ich glaube, ihr seid dann auch in dem Moment mit anderen Sachen beschäftigt“. Das Thema gesetzliche Altersgrenze für Sex ist zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Minuten passé.
Die 15jährige Anna hat das Freigabealter, pardon das Schutzalter, gerade so überschritten, allerdings befürchtet sie, „nicht feucht genug zu sein, damit der Penis in mich eindringen kann“. Dafür gebe es doch extra befeuchtete Kondome, weiß die Ärztin, und betont aber: „Wenn ein Mädel richtig erregt ist, dann ist sie auch feucht genug.“ Zur Not gebe es Vaseline.
Der Tenor ist eher proaktiv
Verständnisvoll werden alle Fragen beantwortet. Ein positiver Bezug zum eigenen Körper hat oberste Priorität: Man müsse sich nicht die Schamhaare abrasieren, erklärt Sabine den Teenagermädchen, nur wenn man das selbst wirklich wolle. „Du allein entscheidest, wann du dein erstes Mal haben willst. Und du spürst, wann du bereit dazu bist.“
Doch der Tenor ist eher proaktiv, auch im Subtext. „Ich bin ja, was solche Sachen angeht, ganz schlecht“, wirft der hippe Simon ein, als es darum geht, wie man sich kurz vorm ersten Mal verhält, wer damit anfängt, den anderen auszuziehen. „Ja, wo fängt man an? Mich hat das immer überfordert.“ Solche Sachen? Immer?
Das GEZ-Fernsehen bemüht die alte neoemanzipatorische Leier, wenn es Kinder wie Erwachsene anspricht: Probiert euch aus. Findet heraus, was euch gefällt, was sich gut anfühlt, was Spaß macht. Dann ist auch der richtige Zeitpunkt da. Sätze wie „Wenn er dich liebt, wird er auf dich warten“ oder Fragen wie „Sollte man das erste Mal nicht eher mit der großen Liebe haben“ gehen unter im Rauschen des stimulierten Sexualtriebs. Das verschämte Grinsen des Trios spricht Bände.