29. Januar 2022

Böll-Stiftung: Evangelikale in Sachsen haben zu viel Einfluss

Quelle: idea.de

Die Evangelikalen wollten die Gesellschaft verändern und riefen zu mehr Engagement in der Politik auf, heißt es in der Studie. Grafik: Heinrich Böll Stiftung Sachsen

Dresden (idea) – Evangelikale haben in der sächsischen Landeskirche zu viel Einfluss. Diese Ansicht vertritt die freie Journalistin Jennifer Stange (Leipzig) in einem ausführlichen Beitrag mit dem Titel „Evangelikale in Sachsen. Ein Bericht“, der im Januar in der Reihe „Weiterdenken“ der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen (Dresden) erschienen ist. Wie sie schreibt, ist für Evangelikale die Bibel Lebens- und Glaubensgrundlage: „Sie glauben häufig nicht nur an Gott, sondern auch an das Böse, an den Teufel, sie glauben an das Jüngste Gericht und sie glauben, dass Jesus auf die Erde zurückkommt.“ Besonders ausgeprägt sei diese Frömmigkeit entlang der deutsch-tschechischen Grenze vom Erzgebirge bis ins Vogtland, weshalb dieses Gebiet auch als „Biblebelt“ (Bibelgürtel) bezeichnet werde. Dort nähmen protestantische Einrichtungen eine wichtige gesellschaftliche Rolle ein. In den strukturschwachen Regionen des südwestlichen Sachsens stellten sie neben den Sportvereinen das Freizeitangebot und nähmen Einfluss auf das kommunale Leben. Die Evangelikalen „machen an der Kirchenpforte nicht halt“, so Stange. Stattdessen wollten sie die Gesellschaft verändern und riefen zu mehr Engagement in der Politik auf. Mitunter seien ihre Glaubensauffassungen „fundamentalistisch“. Als Beispiele nennt Stange das Evangelisationsteam Sachsen und die Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen (AG Welt). Beide verträten „auf vielen Kampffeldern christlicher Fundamentalisten in Sachsen eine Avantgardeposition“. Im Umfeld der Landeskirche bildeten sie „eine Vorhut, die den Angriff auf feindliche Positionen nicht scheut und eine gesellschaftliche Zuspitzung in Glaubensfragen provoziert“. Dabei seien sie bundesweit vernetzt, „vor allem mit evangelikalen Hardlinern aus Baden-Württemberg“.

„Beschwichtigungspolitik“ der Landeskirche gescheitert

Zum Teil heftige Kritik übt Stange aber auch an Kirche und Politik, weil sie sich von „christlichen Hardlinern“ nicht distanzierten, sondern diese zum Teil noch unterstützten. So habe der CDU-Fraktionsvorsitzende, Steffen Flath (Annaberg), mehrfach beim von den „Christdemokraten für das Leben“ veranstalteten „Marsch für das Leben“ in Annaberg-Buchholz gesprochen. Auch habe er sich wiederholt für eine Politik an den Maßstäben der Zehn Gebote ausgesprochen. Das aber sei, so Stange, „für den Fraktionsvorsitzenden einer Volkspartei vermessen.“ Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens habe sich bislang nicht öffentlich von verbalen Attacken gegen Schwule und Lesben, gegen Frauen, Atheisten, Andersgläubige und vor allem gegen Muslime durch fundamentalistische Christen in den eigenen Reihen abgegrenzt. Vielmehr scheue sie eine Auseinandersetzung mit diesen Kräften und habe es meist versäumt, „sich klar von Inhalten und wahnhaften Zügen des Glaubens in den eigenen Reihen zu distanzieren“. So hätten evangelikale Hardliner ihren Einfluss in Bildungseinrichtungen und auf eine außerkirchliche Öffentlichkeit in Kommunen und Städten stärken können, etwa mit Andachten und Kolumnen bei Radiosendern. Stange: „Die Appeasementpolitik der sächsischen Landeskirche, die womöglich eine frühzeitige Diskussion um fundamentalistische Positionen in den eigenen Reihen verhindert hat, ist gescheitert.“