3. Dezember 2021

Warum es mit der Christenheit bergab geht

Quelle: idea.de

Schwuler Publizist: Politik verdirbt die Kirche – Zurück zu Jesus! Foto: Newsweek

New York (idea) – Scharfe Kritik am Zustand der Christenheit übt der britische Publizist Andrew Sullivan. Für den in den USA lebenden bekennenden schwulen Katholiken führen Politik, Priester und Wohlstandsprediger die Christenheit auf eine falsche Spur. „Zurück zu Jesus“ ist seine Forderung in einer Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins Newsweek (New York).

Zum Vorbild wählt der 48-Jährige den katholischen Heiligen Franz von Assisi (1181-1226), der versuchte, streng nach Jesu Vorbild zu leben. Für Sullivan hat sich insbesondere die US-Christenheit weit von dem entfernt, was Jesus gepredigt habe, etwa Feindesliebe, Verzicht auf Wohlstand und Macht. Das politische Leben in den USA sei „mit Religion gesättigt“. So bestehe die Basis der republikanischen Partei aus Evangelikalen, die den Staat mit Religion durchdringen wollten. Aber auch auf der Seite der Demokraten habe Präsident Barack Obama beim Nationalen Gebetsfrühstück in Washington Jesus für seine Gesundheitsreform in Anspruch genommen.

Alle Kirchen stecken in der Krise

Alle Kirchen stecken laut Sullivan in einer tiefen Krise. Die katholische habe ihre Glaubwürdigkeit etwa wegen des sexuellen Missbrauchs durch Priester und Verbots der Anti-Baby-Pille verloren. Die theologisch liberalen evangelischen Kirchen befänden sich seit lange auf dem absteigenden Ast, und die Evangelikalen propagierten teils ein Wohlstandsevangelium, teils einen Biblizismus, der die Heilige Schrift wörtlich nehme. Jesus wäre darüber „verdutzt“, so Sullivan, denn er habe niemals über Homosexualität oder Abtreibung gesprochen. Seine Äußerungen zur Ehe beschränkten sich auf die Ablehnung der Scheidung, die heute auch bei Christen an der Tagesordnung sei.

Keine reine Innerlichkeit

Der Autor betont, dass er keineswegs einer reinen Innerlichkeit und Privatisierung des Glaubens das Wort rede: Die „großen Ungerechtigkeiten“ wie Sklaverei, Imperialismus, Totalitarismus und Rassentrennung müssten Christen auf den Plan rufen. Ihm schwebe aber ein Christentum vor, das versuche, religiöse Wahrheiten in weltliche Argumente zu übersetzen, die Menschen anderen Glaubens oder auch Ungläubige ansprächen. Die katholischen Heiligen seien nicht wegen ihres politischen Engagements zu Vorbildern geworden, sondern durch ihr geistliches Leben.

Schillernde Persönlichkeit

Sullivan ist eine schillernde Person. Er schreibt sowohl für linksliberale wie konservative Blätter, lebt in einer Lebenspartnerschaft mit einem Maler und bekennt sich zu seiner HIV-Erkrankung. Der Abtreibungsgegner lehnt eine Kriminalisierung von „weichen“ Drogen wie Marihuana ab. Er befürwortete ursprünglich den Irak-Krieg, kritisierte aber später die aus seiner Sicht inkompetente Führung durch Präsident George W. Bush. Sullivan wendet sich sowohl gegen islamischen wie christlichen „Fundamentalismus“.