3. Dezember 2021

Ausgereizt

Quelle: theeuropean.de

Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

von Birgit Kelle

Für 35 Prozent aller Kinder unter drei Jahren unterstützt die Regierung massiv finanziell die Betreuung, für die gewaltige Mehrheit der restlichen 65 Prozent wird keine Politik gemacht. Es reicht! Ich bin die Diskussion selbst schon leid. Ich bin es leid, vom Staat als Mutter zweiter Klasse betrachtet zu werden, nur weil ich Wert darauf lege, meine vier Kinder weitgehend selbst zu erziehen. Ich bin es leid, dass mein Lebensstil als verheiratete Frau als überholt, tradiert und unmodern gebrandmarkt wird – und das, obwohl ich in bester Gesellschaft lebe. Wir sind immer noch die Mehrheit in diesem Land. Dennoch rotten sich gerade Politiker aller Couleur zusammen, um eine Unterstützung für uns zu verhindern. Längst haben wir den Anstand in dieser Debatte vergessen. Reden von Herdprämien, Schnapsideen oder gar Verdummungsprämien im Zusammenhang mit dem diskutierten Betreuungsgeld.

Gerne werden dabei der Einfachheit halber alle Eltern in einen Topf geworfen und unter den Generalverdacht gestellt, sie könnten 150 Euro im Monat nicht im Sinne ihrer Kinder ausgeben. „Es kommt nicht bei den Kindern an“ – „es wird versoffen oder in Flachbildschirme investiert“ und neuerdings, mit dem Betreuungsgeld würden „Fehlanreize“ gesetzt. Oh ja, es muss schon ein dramatischer Zustand verhindert werden, wenn sich jetzt parteiübergreifend die Gegner des Betreuungsgeldes zusammentun, um den größten pädagogischen Super-GAU für deutsche Kinder abzuwenden: die Erziehung durch die eigenen Eltern.

Friss oder stirb

Noch einmal zur Erinnerung: Dass wir derzeit für 35 Prozent aller Kinder unter drei Jahren flächendeckend Kitaplätze bauen, geht zurück auf eine Bedarfsberechnung des Familienministeriums. Mehr Bedarf ist nicht und man kann zusätzlich streiten, ob der Bedarf tatsächlich so hoch ist. Aber sei es drum: Übrig bleiben 65 Prozent der Familien, die keinen Kitaplatz wollen. Die selbst die Erziehung ihrer Kinder in den ersten drei Jahren übernehmen möchten. Haben sie kein Recht auf Unterstützung? Sind sie Eltern zweiter Klasse, nur weil sie die staatlichen Institutionen zur Betreuung nicht haben wollen, aber vielleicht andere Unterstützung brauchen und wollen? Warum bekommen sie sie nicht?

Es ist diese „Friss oder stirb“-Mentalität, die mir langsam so richtig auf den Geist geht. Und gleichzeitig müssen wir uns als Familien auch noch anhören, wie viel doch für uns getan wird. Was tun wir für die Krankenschwester im Schichtdienst, die tagsüber Zeit hat, aber ihr Kind ab 16 Uhr betreut haben muss? Was tun wir für all die Eltern, die Wochenend-Betreuung brauchen für ihre Kinder, aber unter der Woche selbst Zeit haben? Warum sind Au-Pair-Mädchen, Tagesmütter, die Nachbarin und die Babysitterin, die aushelfen, immer Privatsache, während wir Milliarden in ein Kitasystem pumpen, das manche nicht wollen und andere nicht brauchen? Und warum ist die Erziehung durch die Eltern nichts wert, während es plötzlich zur unschätzbaren Bildung wird, wenn eine 22-jährige, kinderlose Frau in der Kita Bücher vorliest?

Herzlich lachen musste ich über das Argument, 150 Euro würden ja sowieso nicht reichen, um eine alternative Betreuung zu organisieren, deswegen sollte man es lieber ganz lassen. Ja super, soweit ich weiß, beklagen Hartz-IV-Empfänger ebenfalls, dass der Satz nicht zum Leben reicht, schaffen wir das jetzt auch wieder ab? Da werden ja Kapazitäten frei …

Fair ist das nicht

Wahr ist, 150 Euro würden nicht reichen, sie sind ein Witz angesichts der Summen, die wir bereit sind für die 35 Prozent der Familien auszugeben, die das staatliche System nutzen wollen. Es ist privat, aber ich rechne es trotzdem mal vor: Wir haben vier Kinder. Jeder Kitaplatz für U3-Kinder kostet durchschnittlich 11.000 Euro jährlich pro Kind. Hätten wir uns entschlossen, alle unsere vier Kinder jeweils mit einem Jahr in eine Kita zu geben, so wäre der Staat bereit gewesen, allein für unsere Familie 88.000 Euro an Subventionen auszugeben. Weil wir es anders gemacht haben, sind wir leer ausgegangen und haben alle Babysitter und Tagesmütter, die wir zwischenzeitlich gebraucht haben, damit auch ich als Mutter beruflich wieder Fuß fassen kann, privat bezahlt. Fair ist das nicht. So sieht das übrigens auch das Bundesverfassungsgericht, das schon seit über zehn Jahren anmahnt, dass jede Betreuungsform gleich unterstützt werden muss vom Staat. Dass der Staat keine Betreuungsform bevorzugen darf. Das Urteil ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben ist.

„Fehlanreize“ wird jetzt gebrüllt, auch deswegen, weil die Mütter sich dann böswilligerweise vom Arbeitsmarkt fern halten und lieber an den üppigen 150 Euro bereichern. Wo kommen wir denn da hin, wenn Mutti einfach zu Hause bleibt, wo sie sich doch so schön aufreiben könnte zwischen Job und Familie, damit wir einen Teil der Kitakosten über ihre Steuern wieder reinholen? Eine Erwartungshaltung, die in der Regel sowieso nicht erfüllt wird, da ein Kitaplatz für ein einjähriges Kind nicht bedeutet, dass die Mutter automatisch arbeiten geht. Es sind ja keine Bedingungen, die aneinander gekoppelt sind. Sprich, ich hätte mir ja auch den subventionierten Kitaplatz nehmen können, um mich dann zu Hause den ganzen Tag an Latte Macchiato zu laben – was Bascha Mika ja sowieso vermutet. Stattdessen hab ich selbst auf die Blagen aufgepasst und noch weitere drei bekommen. Ja, ich bin wirklich selbst schuld.

„Fehlanreize“ auch, weil dann Kinder aus „Problemfamilien“ mit „Migrationshintergrund“ aus „bildungsfernen“ Familie nicht in den Hochgenuss unseres Bildungssystems in der Kita kommen. Ja, wir bösen Mütter. Nicht nur, dass wir unsere eigenen Gehirnzellen mit steigender Kinderzahl vom Wickeltisch fallen lassen – zusätzlich lassen wir auch noch unsere Kinder geistig verkümmern, da wir ihnen die Kitabildung vorenthalten. Ja, es gibt diese Familien und für manche Kinder wäre es sicher besser, in einer Kita zu sein, als zu Hause zu verwahrlosen. Doch wir sprechen hier von geschätzten fünf bis zehn Prozent. Dann haben wir immer noch 55 Prozent der Eltern, die gerne zu Hause sind, gerne ihre Kinder großziehen wollen und dies in der Regel auch bestens bewerkstelligen. Anstatt alle über einen Kamm zu scheren, müssten wir es wagen, diese Familien zu benennen und herauszufiltern. Doch daran traut sich die Politik nicht heran. Da ist es einfacher, alle Kinder in die Kita zu schicken, in der Hoffnung, dass es denen, die es brauchen, nützt, und denen, die es nicht brauchen, nicht allzu sehr schadet.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Komisch nur, dass all die Politikerinnen wie Frau Schröder oder Frau von der Leyen oder auch Frau Nahles ihre Kinder keineswegs in die Kitas geben, die sie uns schmackhaft machen wollen, sondern sich selbst mit Familie und Kindermädchen arrangieren. Sie haben ja auch das Budget dafür, das in der Normalfamilie in der Regel fehlt. Vermutlich kennen sie auch die Studien genau, die unseren Kitas bundesweit bescheinigen, dass nur magere zwei Prozent die Qualitätsansprüche erfüllen, die wir gerne hätten. Wir reden also im Wesentlichen von einem unzulänglichen System, in das noch viel mehr Geld und Personal gesteckt werden müsste, damit wir das umsetzen können, was nötig wäre. Bis das jemals umgesetzt wird, haben meine Kinder sicher schon Abitur. Sie können nicht warten, bis wir endlich anstatt einer Quantitäts- endlich die Qualitätsdebatte führen.

Ich will ja unsere Volksvertreter nicht unnötig mit Fakten belästigen, wo man sich doch bereits parteiübergreifend darauf geeinigt hat, dass es uns nicht mehr gibt und man dementsprechend auch keine Politik für uns machen muss. Aber vielleicht könnte auch abseits der CSU der ein oder andere doch mal einen Blick werfen auf die Realität in Deutschland: Die Mehrheit der Deutschen heiratet, bekommt Kinder und versucht dieses kleine Glück halbwegs zusammenzuhalten – auch wenn eine zunehmende Zahl daran scheitert. In der Regel geben sie aber auch nach dem Scheitern dies Ideal nicht auf, sondern tun sich wieder zusammen, heiraten wieder, bekommen noch mal Kinder. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Der Grundfehler, den wir machen, besteht allein schon darin, dass wir davon ausgehen, die normale Familie sei tot. Nein, sie ist ein Wunschtraum von vielen. Und die Mehrheit in Deutschland lebt ihn. 85 Prozent aller Kinder wachsen bei ihren verheirateten (sic!) Eltern auf. Die alljährlichen Shell-Jugendstudien belegen übrigens, dass ein Ende nicht in Sicht ist. Ganz oben im Ranking schon seit Jahren bei den jungen Menschen: Heiraten und Kinderkriegen. So viel zur Realität.

Eine Mutter weiß, was gut ist

Ja, sicher, die Zahl der Scheidungen, der Alleinerziehenden und der Patchwork-Somethings wächst. Allerdings in der Regel nicht, weil sie ihr Ideal ad acta gelegt haben, sondern weil es eben anders gekommen ist. Es ist gut, Ideale zu haben. Es ist gut, Zielvorstellungen zu haben. Wir schaffen ja auch nicht das Strafrecht ab, nur weil die Zahl der Straftäter wächst. Wir halten trotzdem an unserem Ideal vom Rechtsstaat fest. Ja, natürlich muss sich die Politik an neue Gegebenheiten anpassen, sie muss für alle Politik machen. Auch für die Patchworks und die Alleinerziehenden, aber sie darf die Mehrheit der Familien nicht aus den Augen verlieren. Sie sind es, die unsere Gesellschaft zusammenhalten.

Und vor allem brauche ich als Frau und Mutter niemanden, der mir erklärt, was ich will oder was gut für mich ist, ich weiß es selbst. Wenn im aktuellen Familienbericht darauf hingewiesen wird, dass wir mehr Kinderbetreuung brauchen, weil laut Allensbach-Studie ein Drittel der Frauen ihre Arbeitszeit gerne ausweiten würden, dann ist es einfach unredlich. In der gleichen Studie steht ebenfalls das Ergebnis, dass zwei Drittel der Frauen ihre Arbeitszeit gerne reduzieren würden. Sie wollen Zeit haben für die Familie, sie wollen selbst erziehen und sich um ihre Kinder kümmern. Von diesen Frauen hören wir in diesem ganzen Bericht kein Wort. Sie werden einfach ignoriert. Es reicht!

Der Beitrag ist ursprünglich erschienen auf theeuropean.de und wird hier mit freundlicher Genehmigung von Birgit Kelle veröffentlicht. Die freie Journalistin ist Vorstandsmitglied des EU-Dachverbandes New Women For Europe mit Beraterstatus am europäischen Parlament. Als Vorsitzende des Vereins Frau 2000plus e.V. tritt sie für einen neuen Feminismus abseits von Gender Mainstreaming und Quotenwahnsinn ein. Sie ist verheiratet und mit Leib und Seele Mutter von vier Kindern. Geboren 1975 jenseits der transsilvanischen Wälder lebt sie seit 1984 in Deutschland, war von 2005-2008 Herausgeberin der christlichen Monatszeitung VERS1 und schreibt heute für verschiedene Printmedien und Blogs.