27. September 2021

Breite Zustimmung im Protestantismus

Quelle: idea.de

Joachim Gauck am 29.11.2010 in München. Foto: Michael Lucan/pixeldost Lizenz CC-BY-3.0

Berlin (idea) – Im deutschen Protestantismus trifft die Nominierung des ehemaligen Pfarrers und DDR-Bürgerrechtlers Joachim Gauck für das Amt des Bundespräsidenten auf breite Zustimmung. Das ergab eine Umfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar). Nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff am 17. Februar soll Gauck nun als gemeinsamer Kandidat von CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der Bundesversammlung am 18. März zu dessen Nachfolger gewählt werden.

Nach Ansicht des EKD-Ratsvorsitzenden, Präses Nikolaus Schneider (Düsseldorf), bringt der parteilose Gauck gute Voraussetzungen für das höchste Staatsamt mit. Der ehemalige Pfarrer genieße großes Vertrauen in der Bevölkerung und könne dem Amt des Bundespräsidenten zu neuem Ansehen verhelfen, so Schneider.

Evangelische Allianz: Ein sehr schwierig gewordenes Amt

Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Präses Michael Diener (Kassel), begrüßte, dass es nach Wulffs Rücktritt einen schnellen und überparteilichen Konsens für die Kandidatur eines Nachfolgers gegeben habe. Gauck genieße in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen breite Zustimmung. Diener: „Die Erwartungen, die teils mit seinem Namen verknüpft werden, sind zugleich so hochfliegend, dass ich Herrn Gauck nur zu seinen ersten Äußerungen gratulieren kann: Es geht um einen Menschen, mit Stärken und Schwächen, in einem sehr schwierig gewordenen Amt. Als Christinnen und Christen werden wir das weitere Geschehen bis zur Wahl, ebenso wie den Kandidaten Joachim Gauck, aufmerksam verfolgen und in der Fürbitte begleiten.“ Diener ist im Hauptamt Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes (Vereinigung Landeskirchlicher Gemeinschaften).

Evangelischer Arbeitskreis der Union: Glaubwürdiger Theologe

Zustimmung für Gauck signalisiert auch der Evangelische Arbeitskreis (EAK) der CDU/CSU. Er sei seit vielen Jahren ein immer wieder gern gesehener Gast gewesen, so der EAK-Bundesvorsitzende, der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesbildungsministerium Thomas Rachel. „Gauck kann als aufrechter und glaubwürdiger evangelischer Theologe ein Bundespräsident werden, der vor allem neues Vertrauen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Politik begründet. Das ist genau das, was wir jetzt in diesen schwierigen und bewegten Zeiten brauchen.“

Lob von Menschenrechtlern – Kritik von der Linken

Lobend zu Gaucks Kandidatur äußerte sich auch der Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), Martin Lessenthin (Frankfurt am Main). Es sei eine Freude, dass ein ehemaliger DDR-Bürgerrechtler auf dem Weg in Deutschlands höchstes Staatsamt sei. Er sehe darin eine Bestätigung dafür, dass die Wiedervereinigung einen erfolgreichen Weg zurückgelegt habe, so Lessenthin. Gauck habe zur Aufarbeitung der Verbrechen des SED-Regimes wertvolle Beiträge geleistet. Mit ihm als Bundespräsidenten verbinde sich die Hoffnung, dass auch die Partei „Die Linke“ ihre bisherige Haltung zu den Verbrechen der SED, zum Schießbefehl an der Mauer und zur Bespitzelung von Menschen in Ost und West korrigiere.

„Linke“: Gauck ist „Kandidat der kalten Herzen“

Doch „Die Linke“ kritisiert Gaucks Kandidatur scharf. Der erste Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde sei ein „Kandidat der kalten Herzen“, so die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch (Berlin). Die Linke kritisiert vor allem Gaucks Positionen zu den Themen Integration, Finanzkrise und Afghanistan-Einsatz. Sie erwägt, einen eigenen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl aufzustellen.

Pfarrer und Bürgerrechtler

Gauck wäre der erste Bundespräsident mit einer DDR-Biografie. Als Pfarrer in seiner Geburtsstadt Rostock gehörte er im Herbst 1989 zu den Leitern des kirchlichen Protests gegen die Beschränkung von Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit in der DDR. 1990 kandidierte Gauck für das „Neue Forum“ bei der ersten freien DDR-Volkskammerwahl. Als Abgeordneter leitete er den Parlamentsausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und wurde zum Beauftragten für die Stasi-Unterlagen berufen, die er von 1990 bis 2000 leitete. Gauck ist Vater von vier erwachsenen Kindern; seit 1991 lebt er von seiner Ehefrau getrennt.