Quelle: idea.de
Khartum (idea) – Gut einen Monat nach der Unabhängigkeit des Südsudans gerät die christliche Minderheit im überwiegend muslimischen Norden immer mehr unter Druck. Außerdem lässt das radikal-islamische Regime in Khartum die meist schwarzafrikanischen Bewohner der Nuba-Berge in der Grenzregion Süd-Kordofan bombardieren und verhindert humanitäre Hilfe für Zehntausende Flüchtlinge. Der Direktor der Hilfsaktion Märtyrerkirche im Sudan, Bradford Phillips, der die Region kürzlich besuchte, spricht von Völkermord.Er habe gehört, dass Soldaten Pastoren festgenommen und gefoltert hätten, um an Namen und Adressen von Kirchenmitgliedern zu kommen. Einige, die sich weigerten, Informationen preiszugeben, seien zu Tode gefoltert oder hingerichtet worden, heißt es im Gebetsbriefs für Religionsfreiheit der Australischen Evangelischen Allianz. Der anglikanische Bischof Andudu Adam Elnail (Kadugli) appellierte an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, gegen die „ethnischen Säuberungen“ einzuschreiten. „Wenn die Menschen nicht bei Bombenangriffen sterben, dann werden sie im nächsten Jahr verhungern“, sagte er gegenüber Radio Vatikan.
Bis zu 90.000 Menschen vom Tode bedroht
Mindestens 100 Leichen seien laut Augenzeugen von Soldaten und Milizen in Massengräbern verscharrt worden, berichtete der Bischof vor einem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses in Washington. Wenn er nicht in die Vereinigten Staaten gereist wäre, hätte auch er unter den Opfern sein können, so Elnail. Nach Schätzungen sind 70.000 bis 90.000 Menschen vom Hungertod bedroht. Die anglikanische Kathedrale und Kirchenbüros in Kadugli sind geplündert worden. Auch der katholische Bischof der Diözese El Obeid, Max Gassis, berichtet von Bombardierungen im Grenzgebiet zum Südsudan. Die Erklärung der Regierung, dass sie gegen Rebellen vorgehe, sei falsch. Es gebe dort gar keine Aufständischen. In Wirklichkeit wolle der Nordsudan nicht auf die ölreichen Grenzregionen verzichten.
Viele Kirchen verlassen und leer
Generell wird die Lage für Christen im Nordsudan immer prekärer. Behörden lassen Kirchen schließen, und Pastoren werden von radikalen Gruppen mit dem Tode bedroht, wenn sie weiterhin Gottesdienste halten wollen. Abgelaufene Personalausweise kirchlicher Repräsentanten werden nicht mehr erneuert. Viele Christen wollen in den Süden umsiedeln, doch sie dürfen ihr Eigentum nicht mitnehmen, etwa Kühlschränke oder Herde. Grenzpolizisten nehmen ihnen zudem ihr Geld ab. Viele Kirchen im Norden seien inzwischen verlassen und leer, erklärte der Generalsekretär des Sudanesischen Kirchenrats, der Baptist Ramadan Chan Liol, gegenüber der ökumenischen Nachrichtenagentur ENInews (Genf). Nach Angaben des katholischen Bischofs Daniel Adwok (Khartum) erwägen zahlreiche Schulen die Schließung, weil ausländische Hilfswerke ihre Unterstützung gekürzt haben. Auch seien viele Eltern nicht mehr in der Lage, das Schulgeld zu zahlen. Seit Oktober 2010 sind etwa 360.000 südsudanesische Arbeitsmigranten aus Angst vor Repressionen vom Norden in ihre Heimat zurückgekehrt.
Staatspräsident will Scharia einführen
Der nordsudanesische Staatspräsident Omar al Baschir hat angekündigt, dass sein Land den Islam als Staatsreligion und das islamische Religionsgesetz, die Scharia, als Grundlage des Rechts einführen werde. Gegen Baschir hatte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (Niederlande) vor zwei Jahren einen Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgestellt.
Bürgerkrieg mit zwei Millionen Todesopfern
Am 9. Juli wurde der Südsudan unabhängig. Von den knapp 8,3 Millionen Einwohnern gehören die meisten zur katholischen oder anglikanischen Kirche. Hinzu kommen Anhänger von Naturreligionen. Der Bildung des Staates war ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg vorausgegangen, in dem muslimische Milizen der Zentralregierung den christlich-naturreligiös geprägten Süden zu islamisieren versuchten. Dabei kamen über zwei Millionen Menschen um; sieben Millionen wurden vertrieben. 2005 wurde in einem Friedensabkommen die Schaffung der Republik Südsudan vereinbart. Für den neuen Staat votierten bei einer Volksabstimmung im Januar fast 99 Prozent der Wähler. Vor der Abspaltung des Südens hatte der Sudan rund 36 Millionen Einwohner; davon waren fast zwei Drittel Muslime.