28. Januar 2022

Kann ein Gott der Liebe seinen Sohn opfern?

Quelle: idea.de

Burkhard Müller diskutiert mit Theologiestudenten. Foto: ARD

Bonn (idea) – Der frühere Bonner Superintendent Burkhard Müller vertritt die Ansicht, dass die Lehre vom stellvertretenden Tod Christi für die Schuld der Menschen nicht in der Bibel verankert sei, sondern theologischen Deutungen aus dem Mittelalter entstamme.

Er äußerte dies in einer Diskussion mit etwa 30 Theologiestudenten am 29. Juni in Bonn. „Ich sage, dass es in der Bibel die Vorstellung davon, dass Gott den Tod Jesu wollte, nicht gibt“, so Müller, dessen WDR-Morgenandachten über den Sinn des Kreuzestodes Christi 2009 starke Kontroversen ausgelöst hatten. Die Kernbotschaft der Evangelien bestehe darin, dass Gott ein Gott der Liebe sei. Müller: „Ein Gott, der seinen Sohn opfert, um die Ordnung in der Welt wiederherzustellen, das kann nicht nur Liebe sein.“ Jesus habe sich in dem Sinne für die Menschen geopfert, dass er seinen Überzeugungen bis zum Schluss treu geblieben sei: „Jesus hat sich geopfert, aber er hat sich nicht gesühnopfert.“

Vom Pietismus zu Bultmann

Müller argumentierte in seinem Vortrag auch mit dem Alten Testament: Dort werde unter Opfer nicht die Schlachtung eines Tieres, sondern dessen Verbrennung verstanden. Schon deshalb scheide die Deutung des Kreuzestodes Jesu als Opfertod aus. Manche Textstellen – etwa im Hebräerbrief – seien gleichnishaft zu verstehen. Müller: „Es sind eine Reihe von Bildern.“ Zu seiner eigenen Entwicklung sagte der frühere Superintendent, er stamme aus einem pietistischen Elternhaus und habe zu Anfang seines Theologiestudiums den evangelischen Theologen Rudolf Bultmann (1884-1976) widerlegen wollen, der aus dem Neuen Testament unter Anwendung der historisch-kritischen Methode dessen historischen Kern herausarbeiten wollte. Im Laufe seines Studiums habe er dann aber erkannt: „Ohne historisch-kritische Forschung kann man die Bibel nicht verstehen.“

Kritik von Theologiestudenten

Eine Gegenposition zu den Thesen Müllers bezog der Sprecher der Rheinischen Theologiestudierenden der Bonner Fakultät, Steve Henke. Er wies auf die zentrale Bedeutung des Todes Jesu im Neuen Testament hin: „Es läuft von Anfang an auf das Kreuz hinaus.“ Die Evangelien seien gerade wegen des Todes und der Auferstehung Jesu geschrieben worden. In der Theologie Müllers fehle ihm der „Gedanke, dass es ein anklagendes Gesetz und ein freisprechendes Evangelium gibt“. Henke erinnerte an das erste Kapitel des Johannesevangeliums, das klarstelle: „Es gibt hier kein Menschenopfer, sondern ein Gottesopfer.“