30. Juni 2022

Aserbaidschan: Religiös ist das Land kein Hit

Quelle: idea.de

Baku (idea) – Durch den Sieg beim Liederwettbewerb „Eurovision Song Contest“ ist ein Land ins öffentliche Interesse gerückt, das Europäern weitgehend fremd ist: Aserbaidschan. Wie stellt sich die religiöse Situation in dem vorderasiatischen Staat dar? Wie ergeht es der christlichen Minderheit? Mit dem Liebeslied „Running Scared“ (Verängstigt laufen) hatte das Duo Ell und Nikki aus der Hauptstadt Baku am 14. Mai in Düsseldorf den europäischen Sängerwettstreit gewonnen.

Deutschland landete auf Platz 10, Österreich auf Platz 18 und die Schweiz abgeschlagen auf dem 25. und letzten Platz. Aserbaidschan liegt im östlichen Kaukasus am Kaspischen Meer. Nachbarn sind Russland, Georgien, Armenien und Iran. Das Land ist ähnlich groß wie Österreich. Es gilt als gemäßigt islamisch.

90 Prozent der Einwohner sind Muslime

Über die Situation der Religionsfreiheit und Menschenrechte gibt es teilweise widersprüchliche Informationen. 90 Prozent der 8,5 Millionen Einwohner sind Muslime; davon sind 75 Prozent Schiiten und 25 Prozent Sunniten. Der Rest der Bevölkerung besteht aus Atheisten, Christen, Juden und Anhängern anderer Religionen. Die meisten der rund 125.000 Christen sind russisch-orthodox. In Baku versammelt sich eine deutschsprachige evangelisch-lutherische Gemeinde mit knapp 80 Mitgliedern. Ferner gibt es den Bund der Evangeliumschristen-Baptisten mit 25 Gemeinden und 3.100 Mitgliedern und den Bund der Siebenten-Tags-Adventisten mit 23 Gemeinden und rund 700 Mitgliedern. Einer Länderinformation des EKD-Kirchenamts (Hannover) zufolge besteht gegenüber religiösen Minderheiten wie Christen und Juden Toleranz. Tatsächlich garantiert die Verfassung Gewissens- und Religionsfreiheit. Alle religiösen Gruppierungen müssen sich staatlich registrieren lassen. Dabei kommt es aber immer wieder zu Problemen, was vor allem Christen leidvoll erfahren. Somit könnte der Titel des Siegerliedes beim Eurovision Song Contest auch die Lage der Christen beschreiben: Sie sind verängstigt.

Open Doors: Christen werden eingeschüchtert

Wie der deutsche Zweig des internationalen Hilfswerks für verfolgte Christen Open Doors (Kelkheim bei Frankfurt am Main) berichtet, werden Christen vielfach eingeschüchtert und in den Medien angegriffen: „Sie werden als Kriminelle und Landesverräter dargestellt. Arbeitgeber behalten Christen oft nur ungern als Mitarbeiter.“ Das Christentum werde von vielen als ausländische Religion und die Abkehr vom Islam als Verrat an der Nation betrachtet. Auf dem von Open Doors entwickelten Weltverfolgungsindex steht Aserbaidschan auf Platz 24, eingerahmt von Algerien und Libyen. Die Herstellung, Einfuhr, Verbreitung oder der Verkauf von religiöser Literatur ohne staatliche Genehmigung ist eine Straftat. Alle religiösen Aktivitäten von Organisationen, die nicht offiziell registriert sind, sind verboten.

Baptisten: Religionsfreiheit mit zweierlei Maß

Eine Expertengruppe für Religionsfreiheit der Europäischen Baptistischen Föderation (EBF) und des Baptistischen Weltbunds (BWA) stattete dem Land 2009 einen Besuch ab. Dabei gewannen die Fachleute den Eindruck, dass Religionsfreiheit mit zweierlei Maß gewährt werde. In einem Brief an Staatspräsident Ilham Aliyev (Baku) hielten die Baptisten fest, dass die Religionsbehörde und auch traditionelle Religionsgruppen bestätigt hätten, volle Religionsfreiheit zu genießen. Doch Gespräche mit Baptisten hätten ein ganz anderes Bild ergeben. Sie litten unter Intoleranz und Diskriminierung und würden von der Polizei schikaniert und eingeschüchtert. Weltweit für Schlagzeilen hatten etwa die Inhaftierungen der Baptistenpastoren Zaur Balayev und Hamit Shabanov aus Aliabad an der Grenze zu Georgien 2008 und 2009 gesorgt. Nach Einschätzung der Baptisten seien beide „unter falschen Anschuldigungen nur deshalb verhaftet worden, weil sie Baptistenpastoren unregistrierter Gemeinden sind“. Balayev war zehn Monate lang in Haft. Für seine Freilassung hatte sich unter anderem die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen eingesetzt. Shabanov war zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt worden, überraschend aber nach acht Monaten freigekommen. Doch ein Jahr nach dem Besuch der baptistischen Menschenrechtsfachleute hatte Balayev erneut Ärger mit den Behörden. Polizisten verwarnten ihn, weil er wieder Gottesdienste gefeiert hatte. Die waren nach Behördenangaben illegal, weil seine Gemeinde keine Registrierung vorweisen konnte. Doch alle Versuche, diese zu erlangen, waren zuvor gescheitert, teilte Balayev dem BWA mit. Sein Schicksal ist kein Einzelfall. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen warten derzeit 300 religiöse Gruppen auf ihre Anerkennung.

Asyl in Österreich

Vor staatlicher Willkür war eine sechsköpfige christliche Familie von Aserbeidschan nach Österreich geflohen. Ihrem Antrag auf Asyl wurde im Mai 2010 in Graz stattgegeben. Wie im Anerkennungsverfahren bekannt wurde, war der Ingenieur und Lehrer Yusifli Rafael mit seiner Familie geflüchtet, nachdem er zwei Tage lang von der Polizei verhört und gefoltert worden war. Auch seine Frau und ein Sohn waren von der Polizei geschlagen worden. Zudem war versucht worden, seine Enkeltochter aus dem Kindergarten zu entführen, was jedoch misslang. Ein befreundeter Polizist hatte die Familie gewarnt, dass sie sich in Lebensgefahr befinde.

Außenamt: Probleme für Homosexuelle

Auch das Auswärtige Amt in Berlin warnt vor Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan. Vor allem Homosexuelle müssten mit Übergriffen rechnen. Auf den Internetseiten des Ministeriums heißt es: „Homosexualität ist zwar nicht ausdrücklich strafbar, es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Polizei ein homosexuelles Paar festsetzt und erst gegen Zahlung eines Geldbetrages wieder auf freien Fuß setzt.“ Das Europaparlament hat ebenfalls mehrfach Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan kritisiert.

Forum 18: Gottesdienst verhindert

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Forum 18 (Oslo) ist es noch im April dieses Jahres zu Übergriffen auf Christen gekommen. Polizisten hatten in der zweitgrößten Stadt des Landes, Gäncä, dafür gesorgt, dass ein geplanter gemeinsamer Gottesdienst von drei christlichen Gemeinden ausfallen musste. Deren Mitglieder waren durch die Polizisten, die mit zwei Bussen in die Stadt gebracht wurden, so massiv eingeschüchtert worden, dass die Gemeinden sich daraufhin entschlossen hatten, den Gottesdienst abzusagen. Unterdessen hat Staatspräsident Aliyev ein „Weltforum für interkulturellen Dialog“ ins Leben gerufen. Es soll nach seinen Worten sicherstellen, dass „Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit umfassend in Aserbaidschan verwirklicht werden“.