Quelle: idea.de
Kairo/Nikosia/Wiesbaden (idea) – Schwere politische Unruhen erschüttern Ägypten: Wie verhalten sich die Christen, die rund zehn Prozent der 83 Millionen Einwohner des überwiegend muslimischen Landes stellen? Seit dem 25. Januar kommt es in vielen Großstädten zu gewaltsamen Protesten gegen die Regierung von Hosni Mubarak, der seit 1981 als Staatspräsident amtiert.
Die Demonstranten fordern den Rücktritt des 82-Jährigen und mehr Demokratie. Nach amtlichen Angaben sind bei den Unruhen bisher mindestens 100 Menschen ums Leben gekommen. Trotz Ausgangssperre halten die Demonstrationen an. Das geistliche Oberhaupt der Koptisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Schenuda III., hat am 30. Januar die acht Millionen Kopten in Ägypten dazu aufgerufen, nicht an den Protesten gegen die Regierung teilzunehmen. Die koptische Kirche, die die Mehrheit der Christen repräsentiert, wünsche den Schutz Mubaraks. Darüber zeigte sich die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM/Frankfurt am Main) tief enttäuscht angesichts der gesellschaftlichen Benachteiligungen und der teilweise gewalttätigen Angriffe auf Christen. Für eine große Mehrheit hätten Entscheidungen des Oberhaupts der koptischen Kirche enormes Gewicht, zumal Schenudas Aufruf im staatlich kontrollierten Fernsehen mehrfach wiederholt worden sei. Zugleich verweist die IGFM darauf, dass es während der Demonstrationen bisher nicht zu Übergriffen gegen religiöse Minderheiten gekommen sei.
Mehr Gerechtigkeit, Sicherheit und Offenheit
Evangelikale versuchen teilweise unter Lebensgefahr, mäßigend auf beide Seiten einzuwirken, berichtet der Geschäftsführer des im Nahen Osten tätigen christlichen Fernsehsenders SAT-7, Terence Ascott (Nikosia/Zypern). Wie Ascott in einem Gebetsaufruf schreibt, sind 65 SAT-7-Mitarbeiter in Ägypten tätig. Er sei besorgt um ihre Sicherheit. Sein Sohn, der in Kairo als Lehrer arbeitet, sei unter den rund 2.000 Verletzten bei einer Großdemonstration gewesen. Er sei von einem Gummigeschoss im Gesicht getroffen worden, als er versucht habe, sowohl den Sicherheitskräften wie auch den Demonstranten Wasserflaschen zu reichen. Ascott zeigt Verständnis für die Demonstrationen. Jahrzehnte der wirtschaftlichen und politischen Stagnation hätten dazu geführt, dass sich eine ganze Generation hoffnungslos fühle. Die angestaute Enttäuschung entlade sich jetzt. Ascott: „Wir beten dafür, dass die Unruhen zu positiven Veränderungen führen – zu mehr Gerechtigkeit, mehr Sicherheit und mehr Offenheit in der Politik des Landes.“ Auch die christliche Minderheit in dem Land müsse davon profitieren.
Baptisten rufen zum Gebet auf
Zugleich betont Ascott, dass es sich bei den Unruhen nicht um eine religiöse, sondern um eine politische Revolte handele. „Deshalb ermutigen wir die Christen, für Präsident Mubarak und seine Berater zu beten, dass sie weise Entscheidungen fällen, um auf die berechtigten Enttäuschungen des ägyptischen Volkes zu reagieren, und dass es nicht zu einem weiteren Verlust von Menschenleben kommt.“ SAT-7 ist Partner der in Sinsheim bei Heidelberg ansässigen Deutschen Missions-Gemeinschaft (DMG). Zum Gebet für Frieden im Land hat auch der kleine Baptistenbund in Ägypten aufgerufen. Der Vizepräsident der Freikirche, Mounir Jacoub (Alexandria), bat die Europäische Baptistische Föderation (Prag) darum, die 2.100 ägyptischen Baptisten in 18 Gemeinden bei ihren Gebeten für eine positive Entwicklung im Land zu unterstützen.
EMO-Krankenhaus: Alles ruhig
Von den Unruhen nicht betroffen sind die 24 deutschen, finnischen und ägyptischen Mitarbeiter der Evangeliumsgemeinschaft Mittlerer Osten (EMO) in Oberägypten. Wie Geschäftsführer Martin Müller (Wiesbaden) idea auf Anfrage mitteilte, habe es in der von dem Werk betriebenen Klinik in Assuan (Oberägypten) mit zwei Außenstationen in den letzten Tagen keine besonderen Vorkommnisse gegeben. Das habe ihm EMO-Leiter Reinhold Strähler berichtet, der sich derzeit in Ägypten aufhalte. Allerdings sei die Kommunikation mit Ägypten schwer: Die Behörden schalteten zeitweise die Mobilfunknetze und das Internet ab. Strähler wolle auch weitere drei EMO-Mitarbeiter in Kairo besuchen. Sie seien bisher auf eigenen Wunsch dort geblieben. Angebote, sie auszufliegen, hätten sie abgelehnt. Müller rechnet damit, dass es in Ägypten zu politischen Veränderungen kommt. Er hoffe, dass der Einfluss der radikal-islamischen Moslembruderschaft dadurch nicht zunehme.
Israel: Respekt für Mubarak
Rückendeckung erfährt Mubarak auch aus Israel. Die Jerusalemer Zeitung Haaretz berichtet, dass die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Westen aufgefordert habe, den ägyptischen Diktator zu stützen. Es sei im Interesse des Westens und des gesamten Nahen Ostens, „die Stabilität des ägyptischen Regimes aufrechtzuerhalten“, heißt es in Haaretz über ein Schreiben Israels an seine Verbündeten. Unterdessen hat Israels Staatspräsident Schimon Peres vor einer möglichen Machtübernahme radikaler Muslime in Ägypten gewarnt. Die Herrschaft religiöser Fanatiker wäre nicht besser wäre als ein Mangel an Demokratie unter Mubarak. „Wir hatten und haben immer noch großen Respekt für Präsident Mubarak“, so Peres. Er fügte hinzu: „Wir sagen nicht, dass alles, was er getan hat, richtig ist, aber er hat eine Sache getan, für die wir ihm dankbar sind: Er hat den Frieden im Nahen Osten bewahrt.“ Ägypten hatte mit Israel 1979 als erstes arabisches Land einen Friedensvertrag abgeschlossen.
El Baradei will Regierung der nationalen Einheit bilden
Der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei hat angekündigt, eine Regierung der nationalen Einheit bilden zu wollen. Zugleich forderte er Mubarak zum Rücktritt auf. „Euch gehört diese Revolution. Ihr seid die Zukunft“, sagte Baradei bei einer Kundgebung in Kairo am 30. Januar vor 10.000 Teilnehmern. Er sprach sich für ein Ägypten aus, in dem jeder Bürger in „Rechtschaffenheit, Freiheit und Würde“ leben könne. Der frühere Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA hatte sich als Führer einer Übergangsregierung angeboten. Die in Ägypten offiziell verbotene Muslimbruderschaft hat ihre Unterstützung für Baradei erklärt. Wegen der unsicheren Lage verschärfte die Bundesregierung ihre Reisehinweise für das Land. „Das Auswärtige Amt rät von Reisen nach Ägypten aufgrund der instabilen Lage derzeit ab“, hieß es am 30. Januar in Berlin.