Quelle: idea.de
Gegen eine Verteufelung Sarrazins wendet sich dagegen der Vorsitzende der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Pastor Ulrich Rüß.
Der frühere Berliner Finanzsenator hat mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ und der Aussage, dass alle Juden oder Basken ein bestimmtes Gen haben, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst – vor allem in der Politik. Dagegen stimmt ein großer Teil der deutschen Bevölkerung Sarrazins Ansichten zu. So befürworten laut einer Forsa-Umfrage 46 Prozent die These von einer Überfremdung Deutschlands. 18 Prozent würden eine Sarrazin-Partei wählen, so eine Emnid-Umfrage. Sarrazin vertritt in dem Buch die Meinung, dass die Intelligenz in Deutschland dramatisch sinkt. Der Grund sei, dass Gebildete weniger Kinder bekommen, bildungsferne Bürger – darunter viele Migranten – dagegen mehr. Außerdem übt er scharfe Kritik am Islam: „Bei keiner anderen Religion ist der Übergang zu Gewalt, Diktatur und Terrorismus so fließend.“
„Rote Linie“ überschritten
Schwere Vorwürfe gegen den Autor erhebt der amtierende EKD-Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider (Düsseldorf). Sarrazin bediene „vulgär sozialdarwinistische Ansichten“ und öffne damit dem Missbrauch Tür und Tor, sagte er dem „Hamburger Abendblatt“. Schneider: „Es geht meines Erachtens überhaupt nicht, Erkenntnisse aus der Genetik einfach ins Soziale zu übersetzen.“ Sarrazin habe eine „rote Linie“ überschritten. Es sei unverantwortlich, wenn er „Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft pauschal beurteilt und verurteilt“. Auch der Direktor des Diakonischen Werks der hannoverschen Landeskirche, Christoph Künkel, kritisierte Sarrazin. Dieser habe „mit ein paar kühnen Thesen bewiesen, wie leicht eine Republik sich einem verführerischen Geist unterwirft“, sagte er am 5. September zum Auftakt der „Woche der Diakonie“ in Niedersachsen. Heftiger Widerspruch kommt auch aus der römisch-katholischen Kirche. Der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Norbert Trelle (Hildesheim), erklärte, Sarrazins Formulierungen seien geeignet, latent vorhandenen Rassismus zu bedienen. Dessen Thesen konterkarierten die Bemühungen um Integration.
Kritik an „Empörungsreflex“
Gegen eine Verteufelung Sarrazins wendet sich dagegen der Vorsitzende der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Pastor Ulrich Rüß (Hamburg). Sarrazin sei weniger gefährlich als „der Zustand, auf den er in erster Linie hinweisen will: die völlig misslungene Integration von Migranten in unserem Land“. Offensichtlich habe sich die bisherige Integrationspolitik von Wunschdenken, Illusionen und Unkenntnis leiten lassen. Eine Auseinandersetzung mit den Sachanliegen des Autors „wäre jetzt wichtiger als Beschimpfung und der übliche Empörungsreflex von Vertretern der Gutmenschen und politischen Korrektheit in Parteien, Journalismus und Kirchen“, erklärte Rüß gegenüber idea. Im Blick auf die Rolle der evangelischen Kirche fragte er: „Hat man sie nicht vor allem wahrgenommen als Vertreterin eines islamischen Religionsunterrichts und weniger durch selbstbewusstes Bezeugen des Evangeliums?“ Im Blick auf Zuwanderer sagte Rüß: „Wer zu uns kommt und bleiben will, sollte neben der Sprachkenntnis auch Wissen über Kultur, Geschichte und Religion in unserem Land haben.“ Die Konferenz Bekennender Gemeinschaften ist ein Zusammenschluss von 21 theologisch konservativen Organisationen und der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) als Gastmitglied.