28. Mai 2022

Evangelischer Reformpädagoge räumt Missbrauch ein

Quelle: idea.de

Odenwald Schule

Berlin/Hannover (idea) – Der evangelische Theologe und frühere Leiter der reformpädagogischen Odenwaldschule (Bensheim) Gerold Becker (Berlin) hat erstmals sexuelle Handlungen an Schülern eingeräumt. In einem Schreiben, das von der jetzigen Schulleiterin Margarita Kaufmann veröffentlicht wurde, bittet der 73-Jährige ehemalige Schüler um Entschuldigung, die er durch Annäherungsversuche oder Handlungen sexuell bedrängt oder verletzt habe.
 

Er bedauere dies zutiefst und sei zu Gesprächen mit den Opfern bereit, schreibt der schwer lungenkranke Becker. Er lebt mit dem renommierten evangelischen Pädagogen Hartmut von Hentig (84) zusammen. Becker war von 1969 bis 1985 an der Odenwaldschule tätig. In den neunziger Jahren gehörte er der EKD-Kammer für Bildung und Erziehung an. Bereits 1999 gab es erste Vorwürfe sexuellen Missbrauchs. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt stellte aber das Ermittlungsverfahren wegen Verjährung ein. Insgesamt 33 ehemalige Schüler der Odenwaldschule haben sich bisher als Missbrauchsopfer gemeldet.

EKD-Richtlinie: Sofort Staatsanwaltschaft einschalten

Die evangelischen Landeskirchen gehen bei Verdachtsfällen entsprechend den Richtlinien der EKD vor. Danach wird die Staatsanwaltschaft unverzüglich eingeschaltet und der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin nach Anhörung beurlaubt oder vom Dienst suspendiert. Ferner wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Bei einer Verurteilung werden die Betroffenen aus dem Dienst entfernt. Geistliche können auch ihre Ordinationsrechte verlieren. In jedem Fall geht die Kirche auf die Opfer zu.

Kein neuer Verdacht in norddeutschen Kirchen

Während vor allem in evangelischen Kirchen im Südwesten Deutschlands neue Verdachtsfälle sexuellen Kindesmissbrauchs aufgetaucht sind, ist dies in Norddeutschland nicht der Fall. Das teilten die Pressesprecher von sieben Landeskirchen – Braunschweig, Hannover, Schaumburg-Lippe, Oldenburg, Bremen, Nordelbien und Evangelisch-reformierte Kirche – idea auf Anfrage mit. Freilich hat es auch dort in der Vergangenheit solche Vorkommnisse gegeben. In der hannoverschen Landeskirche wurden im vorigen Jahr ein Pastor und ein Diakon wegen Vergehen an Minderjährigen verurteilt. Innerhalb der Nordelbischen Kirche ermitteln die Staatsanwaltschaften von Hamburg und Schleswig-Holstein in zwei Fällen: Ein inzwischen suspendierter Kantor und Organist der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde von Geesthacht bei Hamburg soll ein Mädchen im Einzelunterricht unsittlich berührt haben. Ein ebenfalls suspendierter Pfarrer soll Kinderpornographie besessen und Minderjährige sexuell missbraucht haben. In der oldenburgischen Landeskirche hat es in der Vergangenheit zwei Fälle gegeben: Ein Pfarrer, auf dessen Computer Kinderpornographie gefunden wurde, ist aus dem Dienst entfernt worden. Der Fall eines Vikars, der eine Beziehung zu einer Konfirmandin unterhielt, wurde als weniger gravierend eingestuft und das Verfahren eingestellt. In der Bremischen Evangelischen Kirche gab es einen Fall in einem Kindergarten. Die betreffende Person wurde entlassen.