Quelle: ideaSpektrum Nr. 27/2009 / ideaPressedienst 29.06.2009/16:57
Zur Reaktion – vor allem der evangelischen Kirche – auf die Entführung von Christen im Jemen
Helmut Matthies
Am 12. Juni wurde eine neunköpfige Gruppe von Christen im Nordjemen entführt. Kurze Zeit später wurde bekannt, dass drei von ihnen – eine südkoreanische Lehrerin und zwei deutsche Krankenschwestern und Bibelschülerinnen – ermordet worden sind. Von den übrigen – einem britischen Ingenieur und einer fünfköpfigen Familie aus Sachsen – gibt es noch kein Lebenszeichen.
Zur Familie: Seit fünf Jahren arbeiten Johannes Henschel als Ingenieur und seine Frau Sabine (beide 36) als Krankenschwester in einem Krankenhaus in der Stadt Saada im Norden des Jemen. Sie haben besonders denen geholfen, um die sich sonst niemand bemühte. Der Jemen gilt als das ärmste arabische Land. Der unvorstellbar reiche Staat im Norden – Saudi-Arabien – hilft seinen islamischen Brüdern im Süden nicht. Es sind Christen, die sich um kranke, behinderte und alte Muslime kümmern, indem sie in einer Region ein Krankenhaus unterhalten, „wo Not, Elend und Aufständische herrschen“ (so „Der Spiegel“). Seit 17 Tagen (bei Abfassen dieses Beitrages am 29. Juni) ist die Familie mit drei kleinen Kindern nun schon entführt. Mal hieß es in den letzten Tagen, sie lebten noch, mal, islamische Fundamentalisten oder Kriminelle hätten sie bereits getötet.
Warum schweigen die Moslemverbände?
Und die Reaktionen? Eigentlich hätten sie längst kommen müssen von den vielen Moslemverbänden in Deutschland. Wenigstens ein Zeichen der Anteilnahme wäre zu erwarten gewesen, wurden doch deutsche Entwicklungshelfer in einem islamischen Land umgebracht. Oder ist es ihnen peinlich, dass im Jemen ausgerechnet Christen helfen, weil zu wenig oder gar keine Muslime dazu bereit sind?
Wo bleiben die Proteste?
Eigentlich hätte es auch einen Aufschrei geben müssen in den hiesigen Massenmedien: Immerhin ist ein deutsches Entwicklungshelferpaar mit drei Kindern entführt worden! Ein Trommelfeuer hätte auf die Regierung im Jemen wie das Außenministerium in Berlin prasseln müssen, alles für die Freilassung zu tun. Stattdessen: Nicht die Täter, sondern die Opfer werden angeklagt nach dem Motto: Wie kann man nur so dumm sein und in einem politisch äußerst instabilen Land helfen!
Warum schweigen linksorientierte Parteien und Bewegungen?
Eigentlich müssten besonders linksorientierte Parteien und Bewegungen auf die Straße gehen, machte doch das entführte Ehepaar geradezu bilderbuchartig das, was sie fordern: Mann und Frau sorgen in einem undemokratischen, ungerechten Staat für bessere Lebensbedingungen! (Konnte man da nicht mal ausnahmsweise über den „Makel“ hinwegsehen, dass die Weltverbesserer evangelikale Christen sind?)
Und die evangelische Kirche?
Und die evangelische Kirche, deren Mitglied die fünfköpfige Familie aus Sachsen ist? Weithin Schweigen – auch nachdem die Bundeskanzlerin (CDU) und der Außenminister (SPD) zumindest große Betroffenheit geäußert haben. Aber von keinem einzigen Landesbischof wurde eine Aussage bekannt. Stattdessen von einem Kirchenrepräsentanten Häme und von einem anderen völlige Distanzierung von den Entwicklungshelfern, und das ausgerechnet im atheistischen „Spiegel“, der den Evangelikalen bei allem Spötteln (sie haben „den Herrgott im Herzen“) bescheinigt, ihr Krankenhaus sei ein „Refugium für Arme und Kranke, eine Enklave, in der barmherzige Samariter Hilfe in einem Land anbieten, in dem ansonsten nicht viel funktioniert“. So kommt die schlimmste Kritik ausgerechnet von einem leitend tätigen Pfarrer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Der Mann aus Kassel meint laut „Spiegel“, die Wirkung der „Jesusjünger“ sei weltweit „verheerend“. Nun: Die Armen im Norden des Jemen werden es anders beurteilen als dieser Pfarrer, denn „Mohammedjünger“ helfen ihnen ja offensichtlich nicht. Da Terrororganisationen meist weltweit vernetzt sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit ein deutsches Leitmedium wie den „Spiegel“ auswerten, hat der Kirchenmann – wenn auch sicher unbewusst und unbeabsichtigt – damit noch ein „durchschlagendes“ Argument zur Tötung der Geiseln geliefert. Von der kurhessen-waldeckischen Kirche gab es bisher keine Distanzierung.
Bei anderen Geiseln verhielt sich die Kirche völlig anders
Das passt leider zum Schweigen der Kirche insgesamt: Keine Solidaritätszusage der EKD, keine Verteidigung von Entwicklungshelfern, kein Aufruf zum Gebet für die Geiseln und ihre Angehörigen. Nur der Superintendent im Kirchenbezirk Bautzen (zwischen Dresden und Görlitz) – wo die entführte Familie herstammt – schickte an seine Gemeinden einen Gebetsaufruf und im Bautzener Dom versammelten sich Hunderte von Christen zum Gebet. Doch selbst zum zweiten Sonntag nach der Geiselnahme gab es keinen Fürbitteaufruf seitens der Landeskirche. Traut man dem Gebet nichts zu? Oder schämt man sich gar dieser, von atheistischen Medien bespöttelten frommen Kirchenmitglieder? Bei anderen Geiselnahmen – nicht von Evangelikalen, ja nicht einmal in jedem Fall von Christen – war es anders. Als 2005 im Irak eine zum Islam übergetretene Deutsche – Susanne Osthoff – mit ihrem einheimischen Fahrer entführt worden war, rief der EKD-Ratsvorsitzende, Wolfgang Huber, alle Kirchengemeinden auf, in Gottesdiensten für die Geiseln und ihre Familien zu beten. Im Rundfunk sagte Huber, die Deutschen müssten deutlich erkennbar machen, dass man auf der Seite dieser Menschen stehe. Was für diese beiden Muslime gilt – sollte es nicht auch für die sechs entführten Christen gelten?
Bei bedrängten Ausländern in Deutschland gibt es viel Solidarität
Der sächsische Landesbischof Jochen Bohl rief 2006 für zwei im Irak entführte Ingenieure aus Sachsen zum Gebet auf. Die Ingenieure waren nicht als Christen bekannt. Aber natürlich war deshalb die bischöfliche Solidarität trotzdem richtig. Die Liste des kirchlichen Engagements besonders für Nichtchristen, Ausländer, Asylanten ist lang. Im Fall der evangelikalen Entwicklungshelfer aber herrschte tagelang kirchlicherseits Schweigen.
Die erste kirchliche Erklärung gab es nach 14 Tagen
Erst 14 (!) Tage nach der Entführung und 12 (!) nach Bekanntwerden der Ermordung der beiden Krankenpflege leistenden Bibelschülerinnen aus Lemgo-Brake findet sich – in einem langen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) – eine Stellungnahme des Auslandsbischofs der EKD, Martin Schindehütte (Hannover). Er fordert, die Schuld am Tod nicht bei den beiden Bibelschülerinnen zu suchen. Dass man sich so verhalten könne wie die Entführten – also über ihren christlichen Glauben mit Muslimen zu reden –, „gehört zur Religionsfreiheit“. Allerdings sei – so der Auslandsbischof – ein „glühender Glaube qualitativ nicht hinreichend“, um in gefährlichen Gebieten zu arbeiten. Und dann heißt es weiter in der FAZ: Der Auslandsbischof „kritisiert auch die biblizistische Interpretation der Heiligen Schrift der Evangelikalen. Dass es auch außerhalb des Christentums Glauben geben könne, werde innerhalb dieser frömmigkeitlichen Strömung kaum zugestanden – und das wirke sich auch auf deren Missionsarbeit aus.“ Welch kühle Zurückhaltung gegenüber evangelikalen Kirchenmitgliedern im Vergleich zur glühenden Parteinahme der EKD für die einst entführte Muslimin Susanne Osthoff! Schämt man sich seiner evangelikalen Kirchenmitglieder? Im Übrigen: Die Stellungnahme wurde nicht als EKD-Mitteilung an die Presse gegeben. Nur wer genau die FAZ las, bekam überhaupt eine kirchliche Stellungnahme mit.
Versteht die Kirche unter Mission etwas anderes als Christus?
Vielleicht gibt die Erklärung eines weiteren Kirchenmannes Aufschluss. Der Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Joachim Schmidt, äußert im „Spiegel“ über das Missionswerk „Weltweiter Einsatz für Christus“ (WEC), zu dem sich die entführte Familie aus Sachsen zählt: „Der Missionseifer dieser Gruppe erinnert stark an die evangelikalen Fundamentalisten amerikanischer Prägung. Wir als evangelische Landeskirche haben ein grundsätzlich anderes Verständnis von Mission.“ Doch was hat der angeblich „fundamentalistische“ Ingenieur getan? Er hatte eine Begegnung mit einem Muslim in einem Teehaus. Wie es bei Muslimen üblich ist, kam es zu einem religiösen Gespräch und der Deutsche ermutigte ihn, die Bibel zu lesen. Mehr ist über die Missionstätigkeit des Ingenieurs nicht bekannt. Widerspricht das, was er getan hat, dem Missionsverständnis der Landeskirchen? Falls das stimmte, würden die Landeskirchen unter Mission etwas völlig anderes verstehen als Jesus Christus, der zu seinen Nachfolgern sagte: „Gehet hin in alle Welt, machet zu Jüngern alle Völker …“ Sollte also die Geiselaffäre etwa deutlich werden lassen, dass die guten Worte und Beschlüsse in der Volkskirche zur Notwendigkeit von Mission nur ein Missverständnis waren? Wir wollen es nicht glauben! Deshalb:
EKD, übe jetzt Solidarität!
Verehrter Herr EKD-Ratsvorsitzender, Bischof Wolfgang Huber, dass Sie im letzten Jahr bewusst den von Atheisten verleumdeten Jugendkongress „Christival“ in Bremen besucht haben, wird Ihnen die evangelikale Bewegung nicht vergessen. Bitte stellen Sie sich jetzt auch vor die evangelikalen Entwicklungshelfer und die vielen Missionare aus unserem Land, die von den Medien mit Häme übergossen worden sind! Es kann nicht sein, dass evangelikale Entwicklungshelfer wie die letzten Schmuddelkinder behandelt werden. Sie tun das, was eigentlich Auftrag der Gesamtkirche ist.
EKD-Synode: Auch Evangelikale sind Kirchenmitglieder!
Verehrte Frau Präses der EKD-Synode, Kathrin Göring-Eckardt, Sie haben sich in der letzten Zeit stark engagiert für die Rechte Homosexueller. Bitte setzen Sie sich jetzt auch für das Recht von Kirchenmitgliedern ein, über ihren Glauben in islamischen Ländern Auskunft geben zu dürfen. Sie sind eine Spitzenpolitikerin der „Grünen“. Der Entführte und seine Frau haben seit Jahren genau das getan, was Ihre Partei – jedenfalls auf dem Papier – fordert: Einsatz für die Ärmsten der Armen. Auch evangelikale Entwicklungshelfer verdienen Solidarität!
Herr Landesbischof, bitte rufen Sie jetzt bald zum Gebet auf!
Verehrter Herr Landesbischof Jochen Bohl, Sie haben vor kurzem Ihre sächsische Landeskirche beim Besuch von US-Präsident Obama in der Frauenkirche in Dresden souverän vertreten. Bitte besuchen Sie die verzweifelten Angehörigen der fünfköpfigen Familie! Sie leben nur 45 Autominuten von Ihrem Dienstsitz entfernt. Noch wichtiger aber wäre, dass Sie dazu aufrufen, dass in allen Gottesdiensten Ihrer Kirche für ein gutes Ende der Geiselnahme gebetet wird.