28. Juli 2021

Durch Unterwerfung „sozialistische Menschen“ schaffen

Quelle: idea.de

Erfurt (idea) – Kinder und Jugendliche, die in der DDR in Spezialkinderheime und „Jugendwerkhöfe“ eingewiesen wurden, leiden bis heute großenteils an psychischen Folgeschäden und sind durch das Erlebte nachhaltig beeinflusst.
 

Das sind erste Ergebnisse einer Untersuchung des Berliner Vereins „Bürgerbüro“, der Folgeschäden der DDR-Diktatur aufarbeiten will. Gegründet wurde der Verein 1996 von Bürgerrechtlern, Politikern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. In der DDR gab es neben 474 „normalen“ Kinderheimen 38 Spezialheime und 31 Werkhöfe sowie den „Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau“, der dem Volksbildungsministerium direkt unterstand, Die Ergebnisse stellten am 17. November in Erfurt Esther Schabow und Friederike Reininghaus vom Bürgerbüro vor. Die Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen der ostdeutschen Länder, Thüringens Sozialministerium und die Bundesstiftung Aufarbeitung luden zu dem Kongress unter dem Thema „Zu bedingungsloser Unterwerfung unter die staatliche Autorität gezwungen – DDR-Kinderheime und ihre Folgen für Kinder und Jugendliche“. Die Untersuchung beruht auf einer Fragebogenaktion unter bisher 100 Betroffenen, von denen einige den Verein um Hilfe baten und andere sich nach Zeitungsaufrufen meldeten. Einige konnten ihre Leiden nicht niederschreiben. Das Bürgerbüro sucht weitere Betroffene.

Strafrechtliche Rehabilitierung selten gelungen

Sie litten unter der Willkür des Staates und des Personals, erinnern sich an tägliche Konfrontationen mit den Mitarbeitern und an ständige Beeinflussung und politische Propaganda unter dem Motto: „Den sozialistischen Menschen zu schaffen“ oder „eine vollwertige sozialistische Persönlichkeit werden“. Nach eigenen Angaben hatten sie keine ihren Fähigkeiten angemessene Ausbildungsmöglichkeiten sowie Schulförderung und konnten entstandene Bildungslücken oft nicht schließen. Viele schafften nur die achte Klasse. Strafrechtliche Rehabilitierung sei nur selten gelungen. Darauf hoffen viele einstige Heimkinder, sagen die Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen, an die sich Betroffene ebenso wie ans Bürgerbüro wenden. 20 Jahre nach der Einheit sind noch viele Fragen offen: Wie kamen Einweisungen zustande? Konnten sich Eltern und Jugendliche wehren? Wie qualifiziert war das Personal? Welche Rolle spielten politische Eingriffe? Welche Übergriffe gab es? Wurden sie geahndet? Darauf soll der Kongress Antworten finden.

Was unangepasste Kinder erdulden mussten

Die Rechtsprechung hat sich ziemlich festgelegt. Im Einzelfall sei Rehabilitierung möglich, wenn DDR-Behörden mit der Einweisung auf politische Einstellungen reagierten oder die Einweisung völlig unangemessen war. Das Berliner Kammergericht stellte in Grundsatzbeschlüssen fest, dass Einweisungen in den Jugendwerkhof Torgau (2004) und in das „Objekt Rüdersdorf“ bei Berlin (2010) strafrechtliche Rehabilitierung begründen: „Einweisungen (nach Torgau) betrafen Jugendliche, die ein den sozialistischen Vorstellungen nicht entsprechendes Leben führten.“ Ein System strengster Disziplinierung, entwürdigender Strafen, genauester Kontrolle, Abschirmung von der Außenwelt und ideologischer Indoktrination sollte Jugendliche „zu bedingungsloser Unterwerfung unter die staatliche Autorität“ zwingen. Auch in Rüdersdorf seien Einweisungen bis Juli 1967 rechtsstaatswidrig gewesen, weil sie aus politischen Gründen und ohne gerichtliches Verfahren geschahen. Dort sei keine Erziehungswirkung beabsichtigt gewesen, weil Betroffene dorthin höchstens acht Wochen kamen. Vielmehr sollte Rüdersdorf eine „Schocktherapie“ sein, Jugendliche disziplinieren und westliche Einflüsse wie „Partys feiern“ und „Beatles hören“ ausmerzen.