25. Oktober 2021

Nahost-Konflikt: Europäer messen mit zweierlei Maß

Quelle: idea.de

Johannes Gerstner: Von Israel wird alles verlangt und Palästinensern alles verziehen.

Gießen (idea) – Scharfe Kritik an einer unterschiedlichen Beurteilung von Palästinensern und Israel hat der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Johannes Gerster (Mainz), geübt.
 

Hier werde in weiten Teilen der europäischen Öffentlichkeit mit zweierlei Maß gemessen: Von Israel werde alles verlangt und den Palästinensern alles nachgesehen, sagte der ehemalige CDU-Politiker am 27. August bei einem Israelisch-Theologischen Symposion in Gießen. Dabei könnten in rechtsstaatlicher und ethischer Hinsicht die Unterschiede nicht größer sein. Wenn zum Beispiel ein Israeli einen Palästinenser ohne Rechtfertigung töte, werde er bestraft; hingegen werde ein Palästinenser, der einen Israeli umbringe, als Held gefeiert. Der 69-jährige Gerster war 22 Jahre Bundestagsabgeordneter und danach Vorsitzender der CDU-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag. Nach seinem Rückzug aus der Politik leitete er von 1997 bis 2006 die Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem. Dort setzte er sich in vielen Initiativen für einen Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern ein.

Israel wird überleben

Wie er bei dem Symposion weiter zum Nahostkonflikt ausführte, werde zu wenig beachtet, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen und Mittleren Osten sei. Der Islam betrachte aber die westliche Demokratie als Hauptgegner. Auch sei Israel im Unterschied zu den umliegenden arabischen Ländern technologisch und wissenschaftlich hoch entwickelt, in vielen Bereichen sogar Weltspitze. Das wecke Unterlegenheits- und Neidgefühle bei den Nachbarn. Gerster ist, wie er betonte, felsenfest überzeugt, dass das kleine Land mit 7,5 Millionen Einwohnern trotz ständiger Bedrohungen und Anfeindungen überleben werde. Für eine Beendigung des Konflikts mit den Palästinensern sieht Gerster nur eine Zwei-Staaten-Regelung; andere Alternativen – etwa eine fortdauernde Besatzung, die Vertreibung eines Volks oder ein Staat mit zwei Nationen – seien weder realistisch noch wünschenswert. Für Gerster gründet das Existenzrecht Israels nicht so sehr in biblischen Landverheißungen; vielmehr gehe es klar aus dem UNO-Beschluss von 1947 hervor, der 1948 zur Staatsgründung führte.

Welche Rolle spielt Israel für den christlichen Glauben?

Das zweitägige Symposion mit rund 70 Teilnehmern meist aus der Theologie stand unter dem Thema „Wem gehört das Land? – Christlich-theologische Überlegungen zur biblischen Landverheißung in Israel“. Es wurde vom Gießener Institut für Israelogie veranstaltet. Wie dessen Leiter, Prof. Berthold Schwarz, gegenüber idea erläuterte, wolle man dieses Thema aus unterschiedlicher Sicht beleuchten. So beteiligten sich Christen verschiedener Richtungen, messianische Juden und Palästinenser an den Diskussionen. Das seit 2004 bestehende Institut befasst sich laut Schwarz vornehmlich mit der Frage, welche Rolle Israel und das Judentum für den christlichen Glauben spielen. Dieses Thema werde bisher fast kaum behandelt.

Keine „blinden“ Israel-Freunde

Zu den Referenten gehörte der Rektor der Freien Theologischen Hochschule Gießen, Prof. Helge Stadelmann. Wie er sagte, habe Gott den Juden tatsächlich ein Land verheißen und diese Zusage nie widerrufen. Größe und Grenzen seien jedoch nicht festgelegt und hätten sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändert. Christen sollten im Blick auf Israel Gelassenheit an den Tag legen, riet Stadelmann im Gespräch mit idea. Sie sollten nicht „blinde Israel-Freunde“ sein, die die Erfüllung biblischer Verheißungen politisch einfordern. Sie müssten nicht alles unkritisch rechtfertigen, was die Regierung in Jerusalem tue. Stadelmann wies darauf hin, dass das Alte Testament zum Beispiel eine Haltung gegenüber Fremden fordere, der Israel nicht immer gerecht werde. Gott werde seine Verheißungen zu seiner Zeit erfüllen; das dürften Christen mit Gelassenheit erwarten.