20. Oktober 2021

„Ich entkam dem Todesblock im Ochsenstall“

Quelle: jungefreiheit.de

Erschießung der deutschen Zivilisten...


Mitte Mai sorgte die TV-Dokumentation „Töten auf tschechische Art“ über die Ermordung Hunderter deutscher Zivilisten im nordböhmischen Postelberg im Frühsommer 1945 für Aufsehen. Kurt Hantel überlebte damals das Massaker. Nach 65 Jahren bricht er sein Schweigen.
 

Teil I.

Über 65 lange Jahre habe ich gezögert, die schlimmen Ereignisse von Postelberg niederzuschreiben, der Völkermord der sich dort ereignete, hat mich bis heute verfolgt. Und es gibt bis zum heutigen Tag zwar Anklagen gegen die verantwortlichen tschechischen Täter und ihre Helfershelfern, alle Verfahren wurden jedoch von tschechischen Gerichten niedergeschlagen beziehungsweise die Taten, wie im einen verhandeltem Fall, sogar als „im Interesse des tschechischen Volkes für richtig befunden“.

Obzwar bis heute deutsche Kriegsverbrecher angeklagt und verurteilt werden, interessiert sich weder die deutsche Regierung noch der internationale Gerichtshof für dieses Massaker, dessen Opfer überwiegend willkürlich ausgewählte Zivilisten meines Heimatbereiches waren.

Ort des Geschehens: Die k.u.k.-Kavalleriekaserne in Postelberg Fotos: ct24.cz; Wikipedia/Lysippos

Leider waren mir nach meiner Entlassung aus dem Saazer Gefängnis, wo ich zuerst als entlassener Wehrmachtssoldat nach meiner Wiederkehr in die böhmische Heimat landete, nur wenige Tage zu Haus gegönnt. Am Vormittag des 3. Juni 1945 donnerten Kolbenschläge an unsere Haustüre in der Theodor Körnerstraße in Saaz.

Brutale Peitschenschläge und Erschießungen beim Marsch

Zwei tschechische Swoboda-Soldaten brüllten: „Alle Männer von 12 bis 65 sofort zum Marktplatz.“ Noch mit dem Zusatz, wer nicht geht wird sofort erschossen. Mein Stiefvater und ich machten uns auf den Weg in die Stadt. Schon unterwegs sahen wir, wie die tschechischen Soldaten der Swoboda Armee (Svobodovci genannt, der tschechische General Svoboda hatte in der roten Armee eine tschechische Division aufgestellt, die an der Ostfront gegen uns kämpfte) mit Knüppeln und Peitschen die Männer zum Laufschritt antrieben.

Am Ringplatz angekommen sahen wir, daß schon eine große Anzahl der männlichen Bevölkerung (etwa 4.000 bis 5.000 Deutsche) der Stadt dort zusammengetrieben worden waren. An allen Straßen, die vom Ringplatz wegführten, waren durch Soldaten Sperren errichtet, so daß niemand mehr entkommen konnte. Hier trafen wir auch meinen Stiefbruder Helmut und so warteten wir auf die Dinge, die nun kommen sollten. Wir hörten Schüsse, an einer Mauer eines Hauses auf der Nordseite des Ringplatzes wurden bereits Männer erschossen. Im Laufe des Tages wurden dann Kolonnen zusammengestellt, und wir marschierten in Sechserreihen in Richtung Postelberg.

Der Weg nach Postelberg führte vom Saazer Ringplatz an der Stadtkirche vorbei durch das Priestertor hindurch, den Berg hinunter, über die Egerbrücke auf die Landstraße nach Postelberg. Die Kolonne wurde beidseitig von mit Maschinenpistolen oder Gewehren bewaffneten Swoboda-Soldaten eskortiert. Schon während des Marsches wurden Männer aus der Kolonne von den Begleitwachen ausgeplündert, so auch ich. Dabei kam es zu brutalen Schlägen mit Peitschen und Kabelstücken sowie Holzknüppeln. Auch waren Schüsse am Ende der Kolonne zu hören, wir aber konnten an der Spitze der Kolonne nicht sehen, was sie bedeuteten.

Später erfuhren wir, daß Menschen, die wegen ihrer Gebrechen nicht mitlaufen konnten, am Straßenrand erschossen wurden. Als ich die Situation, in der wir uns befanden, überdachte, sagte ich zu meinem Stiefvater und Stiefbruder, jetzt schaffen sie uns bestimmt nach Rußland. Aber es sollte ganz anders kommen. Erinnern kann ich mich noch an den Durchmarsch durch den Ort Horka, in dem weinende Frauen an der Straße standen.

Als wir Postelberg erreichten, sahen wir, daß die Stadt menschenleer war. Dortselbst wurden wir in die alte österreichische Kavalleriekaserne getrieben, deren Baulichkeiten als Ställe dienten und mußten uns sofort am ehemaligen Kasernenhof flach auf den Boden legen. Am Eingang hatten die Tschechen ein Maschinengewehr postiert und rund um die Menschenmasse standen Posten mit Maschinenpistolen und Knüppeln.

Eng aneinander auf dem Boden liegend verbrachten wir die folgende Nacht. Als sich am nächsten Morgen die liegenden Menschen regten und aufrichteten, kam es zur willkürlichen Tötung mehrerer Personen. Ein Posten uns gegenüber rief auf tschechisch: „aufstehen“, der andere gegenüber rief „nieder“. Die nun hin und her wogende Menschenmasse wußte nun nicht, was zu tun sei. So schossen die Posten mit den Maschinenpistolen wahllos in die Menge. Wer sich aufrichtete wurde erschossen. Das Resultat waren Tote und Verwundete, aber alle lagen nun wieder auf der Erde.

Die Verwundeten wurden erschossen

Ich kann nicht sagen, wie viele damals getötet oder verwundet wurden. Ich schätze, es waren mindestens sechs oder sieben Männer. Auf Befehl der Posten wurden alle Opfer, auch die Verwundeten, mit dem Befehl „Vier Kamerad“ von einigen unserer Männer zu einem Luftschutzsplittergraben im Kasernenhof geschleppt, die Verwundeten erschossen und alle im Splitterschutzgraben notdürftig beerdigt. Das geschah in der Nähe des Brunnens im Kasernenhof.

Ich kann mich gut daran erinnern, weil aus dem Brunnen später Wasser geschöpft wurde, das zum Teil auch über die Leichen floß und in den Brunnen zurücklief. Das Wasser aus diesem Brunnen wurde später von uns sehnlichst erwartet, als wir bei heißem Wetter den dritten Tag kein Wasser bekommen hatten. Nun erfolgte durch den Kommandanten Marek und seine Helfer eine Selektion der gefangenen Männer. Man mußte an einen Tisch vortreten und wurde nach Zugehörigkeit zur Partei, SA, SS, Wehrmacht und so weiter nach allen NS-Organisationen gefragt.

Danach wurden Gruppen gebildet und die nach Organisationen selektierten Männer in einzelne Ställe der ehemaligen Kavalleriekaserne eingesperrt. Bei meiner Vernehmung wurde ich nach Wehrmachtszugehörigkeit und Kampfgebiet befragt. Ich sagte Ostfront und das genügte, um in einen besonderen Stall mit einem Käfig davor eingesperrt zu werden, in dem vor allen Dingen Angehörige der Saazer Intelligenz, Parteifunktionäre und sogenannte Kapitalisten waren.

[Von Kurt Hantl – JF 31-32/20]

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Tschechische Quelle