2. Dezember 2021

Suchtkrankheiten verbreitet wie nie zuvor

Quelle: idea.de

Michael Diener: Nie zuvor waren Suchtkrankheiten so verbreitet wie heute. Foto: Axel Klein

Chemnitz (idea) – Nie zuvor waren Suchtkrankheiten so verbreitet wie heute. Das sagte der Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Michael Diener (Kassel), im Abschlussgottesdienst des Bundestreffens des Suchtkrankenhilfeverbandes „Blaues Kreuz“ am 30. Mai in Chemnitz.
 

Mit dem dreitägigen Treffen unter dem Motto „Unter Gottes Segen zusammenstehen – zusammengehen“ wurde an die Gründung des Verbandes vor 125 Jahren erinnert. Wie Diener sagte, versuchten viele Menschen mit ihrer Sucht Sehnsüchte zu kompensieren, wie die nach Nähe und Geborgenheit. Während Deutschland seit 65 Jahren in Frieden lebe und seit 20 Jahren wieder vereinigt sei und „uns der Frieden von außen damit geschenkt wurde“, zerbreche der Frieden innerhalb der Gesellschaft allmählich. Ein herzlicher Umgang miteinander sei längst auch unter Christen nicht mehr selbstverständlich. „Das ist bei Ihnen hier anders. Lassen Sie sich das nicht nehmen“, rief Diener den rund 1.500 Gottesdienstbesuchern in der Chemnitzer Messe zu. Man spüre vielen „Blaukreuzlern“ ab, dass ihnen die Arbeit mit suchtgefährdeten Menschen eine Herzenssache sei und dass sie darin ihre Mission sähen. „Das fehlt mir bei vielen Christen – dass sie eine Mission haben“, so der Gnadauer Präses. Er ermutigte die Gottesdienstteilnehmer, nicht länger nur von „ansteckenden Krankheiten“ zu sprechen, sondern vielmehr von „ansteckender Gesundheit“. Christen sollten es zu ihrer Mission machen, andere Menschen mit ihrer geistlichen Gesundheit anzustecken.

Alkoholsucht in Deutschland rückläufig…

Der Bundesvorsitzende des Blauen Kreuzes in Deutschland, Klaus Richter (Elbingerode), erklärte gegenüber idea, dass die Zahl der Alkoholabhängigen in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten leicht zurückgegangen sei. Das sei allerdings kein Grund zur Entwarnung. Gegenwärtig konsumiere jeder Deutsche immer noch zehn Liter reinen Alkohol pro Jahr. „Das entspricht 40 Flaschen Korn“, so Richter. Er kritisierte, dass das Thema Sucht immer stärker an professionelle Helfer wie Ärzte und Verbände delegiert werde. Diese Entwicklung entspreche einer „Entsolidarisierung“ innerhalb der Gesellschaft. Christliche Gemeinden sollten dem entgegenwirken, weil Jesus „das Grundmodell für Solidarität“ sei. Er rief Gemeinden auf, Sucht wieder stärker zu thematisieren und Betroffenen Hilfe anzubieten. „Sucht darf nicht nur Thema der Politik sein, sondern jeder einzelnen Gemeinde. Christen müssen erkennen: Das sind meine Brüder und Schwestern, die sich da zerstören“, so Richter.

Aber: Andere Süchte nehmen zu

Bundesgeschäftsführer Reinhard Jahn wies darauf hin, dass die Zahl der Alkoholabhängigen zwar rückläufig sei, andere Süchte – wie etwa Online- oder Spielsucht – aber zunähmen. Umso wichtiger sei es, dass die Politik Angebote der Kinder- und Jugendsozialarbeit auch künftig unterstütze. Geplante Kürzungen wie etwa in Sachsen seien „kontraproduktiv“. Das „Blaue Kreuz“, das auch Jugendprojekte im Freistaat fördert, werde deshalb das Gespräch mit der Landesregierung suchen, erklärte Jahn. Vorbeugende Projekte seien in jedem Fall günstiger als Betroffene später zu betreuen. Die Kollekte des Festgottesdienstes in Höhe von 8.605 Euro soll Jugendsozialprojekten in Sachsen zugute kommen. Damit wolle man auch der Regierung gegenüber ein Zeichen setzen.

Sozialministerin: Ich stehe an Ihrer Seite

Sachsens Sozialministerin Christine Clauß (CDU) hatte bei einem Kurzbesuch am Vortag erklärt, dass das „Blaue Kreuz“ eine wichtige und unverzichtbare Arbeit für die Gesellschaft leiste. Sie stehe deshalb an der Seite des Suchtkrankenhilfeverbandes. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Chemnitz, Barbara Ludwig (SPD), würdigte den Verband als „Haltepunkt für Menschen mit Suchtproblemen“. Die Gemeinschaft im Verein schaffe den „zum Teil überlebensnotwendigen“ Anstoß zum Neuanfang. „Der christliche Glaube gibt den Mitgliedern des Blauen Kreuzes Kraft und Beistand für diese schwere Arbeit“, so Ludwig. Profifußballer Cacau, der sich mit der deutschen Nationalmannschaft gerade auf die Weltmeisterschaft in Südafrika vorbreitet, grüßte die Teilnehmer des Bundestreffens schriftlich: „Ich bin dankbar für Eure internationale Arbeit.“ Er sei als Kind eines alkoholkranken Vaters aufgewachsen und wisse, wie wichtig kompetente Hilfe von außen sei. „Als ganz besonders empfinde ich es, dass die Arbeit des Blauen Kreuzes auf dem Fundament des christlichen Glaubens durchgeführt wird.“

Sieben neue Mitglieder aufgenommen

Das Blaue Kreuz in Deutschland entstand 1884/85 und zählt derzeit rund 6.000 eingetragene Mitglieder; sieben neue wurden beim Bundestreffen in Chemnitz aufgenommen. Die Mitglieder betreuen in über 1.100 Gruppen und Vereinen vor allem alkohol- und medikamentenabhängige Menschen. Dabei werden die Veranstaltungen wöchentlich von rund 22.000 Suchtkranken und deren Angehörigen besucht. Der christliche Suchtkrankenhilfeverband gehört als Fachverband dem Diakonischen Werk der EKD an und ist u.a. Mitglied des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes sowie der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Das Bundestreffen findet alle fünf Jahre statt.