28. Mai 2022

Hausschulunterricht macht Kinder nicht zu Außenseitern

Quelle: idea.de

Der Theologe und Sozialwissenschaftler Thomas Spiegler: Umgang der Behörden mit Hausschuleltern „nicht ganz gesund“. Foto: Pressestelle der Philipps-Universität Marburg

Frankfurt am Main/Friedensau (idea) – Wenn Eltern ihre Kinder selbst unterrichten, statt sie zur Schule zu schicken, so werden die Kinder trotzdem nicht zu sozialen Außenseitern. Diese Erkenntnis hat der Theologe und Sozialwissenschaftler Thomas Spiegler von der Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg gewonnen.
 

Fünf Jahre lang hat er sich im Rahmen seiner Doktorarbeit mit sogenannten Hausschulen befasst. In Deutschland sind diese verboten, in vielen anderen Ländern aber erlaubt. Spiegler fand heraus: „Wer als Hausschüler später auf eine Schule gewechselt ist, wurde in Sachen Sozialkompetenz von Mitschülern und Lehrern eigentlich durchweg positiv beurteilt.“ Über seine Ergebnisse berichtet jetzt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in ihrem Onlineportal. Demzufolge bedauert Spiegler, dass über den Hausunterricht „zu viel behauptet und zu wenig bewiesen“ werde. Es gebe kaum seriöse wissenschaftliche Studien, die Fragen nach Erfolgen und Risiken beantworteten. Bei seinen Untersuchungen habe er allerdings eine Tendenz zur „quasireligiösen Überhöhung des Kindes“ durch die Eltern festgestellt. Doch sei dies deren Privatsache. Spiegler hält den Umgang der Behörden mit Hausschuleltern in Deutschland für „nicht ganz gesund“. Eltern, die – oft aus Glaubensgründen – gegen die allgemeine Schulpflicht verstoßen, werden zu Zwangsgeldern, Bußgeldern oder Erzwingungshaft verurteilt. Einigen wurde auch das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen. Spiegler kritisiert, dass in Deutschland zu stark auf die Anwesenheit der Kinder im Schulgebäude geachtet werde, während pädagogische Fragen in den Hintergrund träten. Spieglers Promotionsarbeit war von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vor zwei Jahren als herausragend ausgezeichnet worden.

Mit Freude forschen und lernen

Der FAZ-Bericht schildert die Erfahrungen einiger Hausschulfamilien. Darunter ist das Verlegerehepaar Dagmar und Tilman Neubronner (Bremen), das seine beiden Söhne mit Erlaubnis der Schulbehörden zu Hause unterrichten wollte. Doch einem Antrag auf Ausnahmegenehmigung, wie sie für Schausteller oder Schwerkranke erteilt werden kann, wurde nicht stattgegeben. Als den Eltern ein Sorgerechtsentzug drohte, zog die Familie nach Frankreich, wo Hausunterricht erlaubt ist. Das Ehepaar ist davon überzeugt, dass Kinder im Selbstunterricht „mit mehr Freude forschen und lernen“ und besser auf das eigenverantwortete Leben vorbereitet werden. Dass die deutschen Behörden der Familie trotz guter Lernerfolge der Söhne das Leben schwer machen, hält das Ehepaar für „grotesk“. Es sieht in der deutschen Schulpflicht „ein typisches Merkmal von Diktaturen“. Wie die FAZ weiter berichtet, sind die Anhänger des Hausunterrichts nicht „immer nur religiöse Sektierer“, auch wenn in den Medien ein solcher Eindruck erweckt werde. Ende Januar hatte der Fall des christlichen Ehepaars Romeike aus Baden-Württemberg für Schlagzeilen gesorgt. Es erhielt politisches Asyl in den USA, weil es seine Kinder in Deutschland nicht selbst lehren darf. Die FAZ verweist auf Schätzungen, nach denen in Deutschland rund 1.000 Kindern von ihren Eltern unterrichtet werden. Eine gesicherte Statistik gebe es nicht.